Ausdruck des Monats
Albert Thomalla (Oberthal)
Vom „typisch saarländischen“ Essen
„Hauptsach gudd gess“ wird gerne als sprichwörtlicher Beleg für eine in
der Bevölkerung verankerte gehobene saarländische Esskultur zitiert.
Der zweite Teil der Redensart wird dabei meistens unterschlagen. Er
lautet: „geschafft ham-mer schnell“.
Ein verwandtes schlesisches Sprichwort heißt: „Wie zum Essen, so zur
Arbeit“ (Barbara Suchner, Lieber gutt gelebt und dafür länger-
Schlesische Redensarten, Husum, 2. Aufl. 2000), das sich in unserer
saarländischen Weisheit „Wie mer isst, so schafft mer“ wiederspiegelt.
Eigentlich würde man es andersherum erwarten, dass man so isst, wie
man geschafft hat, also: Er isst wie e Drescher (nach getaner Arbeit).
Aber schwer arbeitende Menschen konnten auch ebbes verdrìcke, bevor
es an die Arbeit ging, und wurden deswegen nicht scheel angesehen.
Arbeitskräfte in der Landwirtschaft, Erntehelfer erhielten von den Bauern
ein „gutes Essen“, damit sie die anstrengende Arbeit durchstehen
konnten. „Gut“ bedeutet hier in erster Linie „nahrhaft und reichlich“. Gut
schmecken sollte das Essen schon, aber es handelte sich um
Hausmannskost, nicht um kulinarische „Schneckedänzjer“. Ähnlich
dachten die Eigner saarländischer Gruben, die den „Lyoner“ verbilligt in
den Kaffeeküchen abgaben, damit die Bergleute eine „gute Unterlage“
hatten.
In den Familien war es keine Frage, dass schwer arbeitende Bergleute,
Bau- oder Hüttenarbeiter eine Extra-Portion Fleisch oder Wurst
bekamen. Manchmal reichte das Geld nur für die Wurst des Ernährers
der Familie. Viel kolportiert wurde folgende Anekdote:
De Vadder isst sèi Worscht, die Kìnner gucke zu ón waarte droff, dass
die Worschhåut iwwerisch blèibt, wo ìmmer noch e bissje Worscht
draanhängt. Wie die Kìnner desweje Strèit krien, schiddelt de Vadder de
Kopp ón sæt: „Jæ, wivell Worscht sóll ich dann esse, dass ehr genuch
Håut krien.“
.Die zweimalige Abtrennung vom „Reich“ hat wohl in den saarländischen
Köpfen eine Art Kirchturm-Denken hervorgerufen, das bis heute anhält.
Wie ist es sonst zu erklären, dass Gerichte als „typisch saarländisch“
angesehen werden, die auch jenseits der Landesgrenzen beliebt sind:
den Lyoner kennt man als „Fleischworscht“ auch in anderen Regionen,
er ist ein Bestandteil der „Mainzer Dreifaltigkeit“: „Weck, Worscht un
Woi“, der „Dìbbelabbes“ heißt im Rheinland „Dìbbekuche“, auch in der
Pfalz isst man „Bohnesupp un Quetschekuche“ usw.
Der „Saarländische Lyoner“ ist zwar eine geschützte
Herkunftsbezeichnung, aber mir konnte noch niemand sagen, worin er
sich wirklich von Pfälzer Lyoner oder von Rheinhessischer
„Fleischworscht“ unterscheidet.
Bei der Frage, welches grammatische Geschlecht Lyoner hat, ob es
„der“ oder „die“ Lyoner heißt, glaubt die Fleischerinnung des Saarlandes
auf ihrer Homepage1, dass es davon abhänge, welches Wort dazu
gedacht wird, so heiße es „der“ Ring Lyoner, aber „die“ Lyoner-Wurst.
Doch der Worscht gehört zu den Wörtern in den saarländischen
Dialekten, die ein anderes Genus aufweisen als im Standarddeutschen
wie z.B. der Dach, die Bach, der Tal („meer gehen ìn de Oowerdaal“),
der Bódder („die Butter“), die Wæs („der Weizen“) usw.
Also heißt es auch folgerichtig: der Bluttworscht, der Lewwerworscht, der
Gròòworscht (“die Salami“), der Schmeerworscht, der Bråtworscht, der
Grieweworscht, der Mettworscht, der Håusmacher-Worscht usw., und
auch der Lyoner Worscht,
Das männliche Geschlecht der Wurst ist aber nicht allein in
saarländischen Dialekten zu finden. Dialekte setzen sich ja jenseits der
Landesgrenzen in Frankreich, Rheinland-Pfalz und Luxemburg
übergangslos fort. Während in den deutsch-lothringischen Dialekten nur
die männliche Form überliefert ist, in Luxemburg nur die weibliche,
geben das Rheinische, Pfälzische und Elsässische Wörterbuch (also ein
Bereich von Mulhouse im Elsass bis zur niederländischen Grenze) beide
Genera an, allerdings ohne regional zu differenzieren. In der Folge des
Sprachwandels setzt sich heute immer mehr die weibliche Form, „die“
Lyoner, wie im Standarddeutschen durch.
Jüngere Menschen denken, dass „Schwenken“ immer schon zur
saarländischen Identität gehörte („Der Mensch denkt, Gott lenkt, der
Saarländer schwenkt“). In Quizsendungen beliebt ist die Frage nach der
dreifachen Bedeutung des Wortes „Schwenker“ im „Saarländischen“
(1. der Schwenkrost, 2. das Stück Fleisch auf dem Rost, 3. die Person
am Grillrost).
Aber: bis zum Ende der 1960er Jahre war mir das „Schwenken“
unbekannt. Ich habe es als Wehrpflichtiger 1968 in Idar-Oberstein
kennengelernt, von wo aus es sich dann aber sehr rasch ausbreitete. Die
Idar-Obersteiner sagen, dass Edelsteinhändler aus der Stadt diese Art
von Grillen als „Churrasco“ in Brasilien kennengelernt hätten, wo sie sich
häufig geschäftlich aufhielten. Beim „Churrasco“ werden die
Fleischstücke auf zwei Spießen über dem offenen Feuer gebraten. In
Idar-Oberstein heißt der Schwenkbraten auch heute noch „Spießbraten“
und Ende Juni steigt in Idar-Oberstein alljährlich das „Spießbratenfest“,
das größte Volksfest der Region.